Ein Weg zum Beweis der Primzahlzwillings-Vermutung

Klaus-Michel Becker, im Juni 2022

Im ersten Abschnitt ermitteln wir Gesetzmäßigkeiten zu Teilerfremden in speziellen Intervallen. Nach diesem Vorlauf fällt es uns leicht entsprechende Gesetzmäßigkeiten auch zu Teilerfremd-Zwillingen zu bestimmen. Da Teilerfremde bzw. Teilerfremd-Zwillinge in gesonderten Bereichen mit Primzahlen bzw. Primzahl-Zwillingen übereinstimmen, führen uns Aussagen von Teilerfremden bzw. Teilerfremd-Zwillingen unmittelbar zu Aussagen von Primzahlen bzw. Primzahl-Zwillingen.

 

 

1. Teilerfremde

 

Definitionen

a und b mit a<b seien zwei natürliche Zahlen.

a heißt teilerfremd zu b (auch relativ prim, DEISER [5] S.56), falls a und b keinen gemeinsamen Teiler haben, d.h. es gilt  ggT(a,b) = 1.

Teilerfremde sind alle a<b, die zu b teilerfremd sind.

Die Primfakultät  ∏pn = ∏ni=1pi   ist ist das Produkt aller Primzahlen bis pn.

 

Teilerfremde zu ∏pn erhalten wir auf elementare Art und Weise, indem wir aus der Folge der natürlichen Zahlen alle Vielfachen von pi (1≤i≤n) streichen. Dies entspricht dem Sieb des Eratosthenes (RIBENBOIM[1] S.16, HAVIL [2] S.198, ZIEGENBALG [3] S.60), wobei wir noch zusätzlich die Primzahlen pi selbst streichen müssen. Alle nicht ausgesiebten Elemente sind Teilerfremde zu ∏pn.

 

Satz 1.1

Teilerfremde zu ∏pn im Intervall [1; ∏pn] implizieren Primzahlen größer pn.

Beweis: t sei Teilerfremder zu ∏pn im Intervall [1; ∏pn]. Wegen ggT(t,∏pn) = 1 gilt, dass t keinen Faktor von ∏pn haben kann. t muss deshalb entweder selbst eine Primzahl größer pn sein oder aus Primfaktoren größer pn zusammengesetzt sein.

 

Satz 1.1 gehört in die unermessliche Sammlung von Beweisen zur Unendlichkeit der Primzahlen (RIBENBOIM [1] S. 3ff).

Als Vorbereitung auf unseren zweiten Abschnitt versuchen wir mehr über die Spezies Teilerfremde zu erfahren.

 

Satz 1.2  (Symmetrie)

Teilerfremde zu ∏pn im Intervall [1; ∏pn] liegen symmetrisch in [1; ∏pn], d.h. mit t teilerfremd zu ∏pn  ist auch (∏pn -t) teilerfremd zu ∏pn.

Beweis:  t teilerfremd zu ∏pn  →  ggT(t, ∏pn) = 1  →  ggT(∏pn -t, ∏pn) = 1  →  (∏pn –t) teilerfremd zu ∏pn

 

Satz 1.3  (Anzahl)

Im Intervall [1; ∏pn] gibt es zu ∏pn genau  AnzTn = ∏ni=1(pi-1)  Teilerfremde.

Beweis: Die Aussage folgt unmittelbar aus Algorithmus 4.1 (siehe Anhang) bzw. als Konsequenz aus der Eulerschen φ–Funktion (ZIEGENBALG [3] S.109, AIGNER [4] S. 82). Ein Beweis durch Vollständige Induktion gelingt ebenfalls problemlos (MELCHMERDIF [8] S.6).

 

Teilerfremde in [1; p2n] nehmen eine Sonderstellung ein.

 

Satz 1.4  (Primzahlen I)

Die Teilerfremden zu πn in [1; p2n] sind Primzahlen (, falls sie denn existieren).

Beweis: wäre ein Teilerfremder zusammengesetzt, so müsste zumindest einer seiner Primfaktoren kleiner pn sein, was aber nicht sein kann.

 

Betrachten wir im Intervall [1; ∏pn] einmal alle Teilerfremden zu ∏pn. Zwischen benachbarten Teilerfremden haben wir unterschiedlich große Abstände. Diese Lücken reichen von 2, 4, 6, … bis hin zu einem von p1 bis pn abhängigen maximalen Wert. In der Summe müssen wir ebenso viele Lücken wie Teilerfremde haben -- die Lücke zum nächsten Intervall schließen wir mit ein – also haben wir AnzTn Lücken. Diese Lücken vermitteln uns einen ersten Eindruck von der Verteilung der Teilerfremden. Im Anhang betrachten wir umfangreiche Statistiken dieser Lücken. Da die Summe aller Lücken identisch mit der Intervalllänge ist, erhalten wir problemlos den Mittelwert der Lücken.

 

Satz 1.5  (Mittelwert)

Der Mittelwert (die durchschnittliche Länge) aller Lücken der Teilerfremden zu ∏pn in [1; ∏pn] wird bestimmt durch  MitTn∏pn / AnzTn = ni=1pini=1(pi-1)  und es gilt für n>1 die Abschätzung  MitTn < pn .

Beweis: wir folgern  MitTn = ∏ni=1pi / ∏ni=1(pi-1) = (∏n-1i=1pi /(pi+1-1))pn und wegen pi+1 - pi ≥2  sind für i>1 sämtliche Faktoren pi / (pi+1-1) < 1  (für i=1 haben wir p1 / (p2-1) =1 ) womit wir  MitTn < pn  erhalten.

 

Das bisher Ermittelte stellen wir in einer Tabelle zusammen, ergänzen um die numerisch ermittelten Werte größter Lücken im Intervall [1; ∏pn]  und stellen diese der Länge des Intervalls [pn;p2n ] gegenüber.

 

n 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11
pn 3 5 7 11 13 17 19 23 29 31
MitTn 3 3,7 4,3 4,8 5,2 5,5 5,8 6,1 6,3 6,5
MaxTn 4 6 10 14 22 26 34 38 46 58
p2n-pn 6 20 42 110 156 272 342 506 812 930

 

Die hieraus resultierende Grafik zeigt uns, die größten Lücken sind stets deutlich kleiner als p2n - pn . Die Gestzmäßigkeit der größten Lücken wird nunmehr der entscheidende Schlüssel zu einer weiteren Aussage Teilerfremder werden.

 

max single

 

Wie wir bisher gesehen haben, unterliegen Teilerfremde im Vergleich zu Primzahlen einfachen Gesetzmäßigkeiten. Es verwundert nicht, dass dies auch für die maximalen (größten) Lücken gilt.

Auf der Suche nach zunächst einmal großen Lücken werden wir schnell fündig.

 

Satz 1.6  (große Lücken)

In jedem Intervall [1; ∏pn]  haben wir große Lücken der Länge (pn+1-1).

Beweis:   p1 bis pn sieben sämtliche Elemente bis (pn+1-1) aus. Die Elemente 1 und pn+1 begrenzen die Lücke. Aus Symmetriegründen (Satz 1.2) werden auch am Ende des Intervalls (pn+1-2) Elemente ausgesiebt.

 

Auch im anschließenden Intervall [∏pn+1; 2∏pn] werden wir diese großen Lücken haben. Wir betrachten Situationen, wo diese beiden Lücken der Länge pn+1-1, die lediglich durch drei  Elemente getrennt liegen, miteinander verbunden werden können. Wir veranschaulichen dies exemplarisch am Siebschema für n=4 (grün markiert).

                                                                          ↓

                                                  Ende Intervall I   =  Anfang Intervall II

 

x

 

x

 

x

 

x

 

x

 

x

 

x

 

2

 

x

 

x

 

x

 

x

 

x

 

x

 

x

 

x

   

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x

   

x

   

x

   

3

   

x

   

x

   

x

   

x

   

x

x

       

x

       

x

       

5

       

x

       

x

       

x

 

x

           

x

           

7

           

x

           

x

 
     

x

                   

11

                   

x

         
     

x

                       

13

                       

x

 

 

Nach Sieben mit pn+1 sowie pn+2 haben wir eine Lücke der Länge 2pn+1 erhalten (gelb markiert). Und diese größere Lücke wird es irgendwo im Intervall [1; ∏pn+2] geben müssen.

 

Wir können deshalb auf das Intervall [1; ∏pn]  zugeschnitten formulieren:

 

Satz 1.7  (maximale Lücke)

In jedem Intervall [1; ∏pn]  haben wir Lücken der Länge MaxTn = 2•pn-1. Sie sind größer als die Lücken nach Satz 1.6 und sie sind die maximalen (größtmöglichen) Lücken im gesamten Intervall.

Beweisskizze:  zunächst gilt, dass die Lücken der Länge 2•pn-1 für n≤4 stets gleich und für n>4 stets größer ausfallen als die großen Lücken gemäß Satz 1.6, denn  aus Verschärfungen von Bertrands Postulat (AXLER [7]) folgt unmittelbar, dass 2•pn-1 > pn+1 -1 für alle n>4 gilt.  Tabelle 1  liefert uns  MaxT2 = 4 = 2•p1,  MaxT3 = 6 = 2•p2,  … , MaxT10 = 46 = 2•p9 ,  MaxT11 = 58 = 2•p10 .  Und  2•pn-1  ist der größtmögliche Wert, da offensichtlich jede Änderung (Verschie-bung) irgendeiner Siebfolge pi  (für 1 ≤ i ≤ n) die Grenzen des Lückenintervalls verringern würde.

 

Wir haben ein vorläufiges Etappenziel erreicht.

 

Satz 1.8  (Primzahlen II)

Im Intervall [pn; p2n]  gibt es neben pn mindestens eine weitere Primzahl.

Beweis:  Der maximale Abstand von Teilerfremdem zu Teilerfremdem in [1; ∏pn]  beträgt nach Satz 1.5  MaxTn = 2•pn-1.  Wegen 2•pn-1 < 2•(pn-1) < pn•(pn-1) = p2n - pn  muss es zwischen pn und p2n mindestens einen weiteren Teilerfremden geben. Nach Satz 1.4 muss dieser Teilerfremde eine Primzahl sein.

 

Es ist uns klar, dass wir dieses Ergebnis unmittelbar mit Bertrands Postulat (AIGNER [4] S.7) hätten finden können. Mit den gewonnenen Sätzen zu Teilerfremden haben wir aber bewusst einen Weg beschritten, den wir analog mit Teilerfremd-Zwillingen begehen wollen und können.

Wir wenden uns nun unserem eigentlichen Vorhaben zu.

 

2. Teilerfremd-Zwillinge

 

Definitionen

Zwei Primzahlen p und q heißen Primzahl-Zwillinge (RIBENBOIM [1] S.200, GRACIAN [6] S.35), wenn ihre Differenz 2 beträgt. Sie bilden ein Primzahl-Zwillingspaar.

Zwei Teilerfremde heißen Teilerfremd-Zwillinge, wenn ihre Differenz 2 beträgt. Sie bilden ein Teilerfremd-Zwillingspaar.

Unter Abstand zwischen Zwillingspaaren (Primzahl- wie Teilerfremd-) verstehen wir den Abstand zwischen den jeweils größeren (oder kleineren) der beiden Zwillingspartner.

 

Teilerfremd-Zwillinge zu ∏pn erhalten wir auf elementare Art und Weise, indem wir aus der Folge der natürlichen Zahlen alle kpi und alle kpi+2 (1≤i≤n, kϵN) streichen. Alle nicht ausgesiebten Elemente sind die zweiten Komponenten z eines Teilerfremd-Zwillingspaares (z-2, z) zu ∏pn .

Ein Analogon zu Satz 1.1 gibt es nun leider nicht. Bei den übrigen Sätzen haben wir mehr Erfolg.

 

Satz 2.2  (Symmetrie)

Im Intervall [1; πn] gibt es zu πn genau  AnzZn = ∏ni=1(pi-2)   Teilerfremd-Zwillingspaare.

Beweis:  dies folgt unmittelbar aus Algorithmus 4.2 des Anhangs. Auch ein Beweis durch Vollständige Induktion gelingt problemlos.

 

Wie zu erwarten nehmen auch Teilerfremd-Zwillinge in [1; p2n]  eine Sonderstellung ein.

 

Satz 2.2

Alle Teilerfremd-Zwillingspaare zu  πn  in [1; p2n]  sind Primzahl-Zwillingspaare (, falls sie denn existieren).

Beweis:  wäre ein Teilerfremder  eines Teilerfremd-Zwillingspaares zusammengesetzt, so müsste zumindest ein Primfaktor kleiner pn  sein, was aber nicht sein kann.

 

Betrachten wir im Intervall [1; πn] einmal alle Teilerfremd-Zwillinge zu πn. Zwischen benachbarten Teilerfremd-Zwillingspaaren haben wir Abstände von unterschiedlicher Größe. Diese Lücken reichen von 6, 12, 18, … bis hin zu einem von πn abhängigen maximalen Wert. In der Summe müssen wir ebenso viele Lücken wie Teilerfremd-Zwillingspaare haben --  die Lücke zum nächsten Intervall schließen wir mit ein – also haben wir  AnzZn  Lücken. Diese Lücken vermitteln uns wie schon bei Teilerfremden einen ersten Eindruck von der Verteilung der Teilerfremd-Zwillinge. Da die Summe aller Lücken identisch mit der Intervalllänge ist, erhalten wir wiederum problemlos den Mittelwert der Lücken.

 

Satz 2.3

Der Mittelwert (die durchschnittliche Länge) aller Lücken der Teilerfremd-Zwillingspaare zu πn in [1; πn]  wird bestimmt durch MitZn = πn / AnzZn = ∏ni=1pi / ∏ni=2(pi-2)  und es gilt für n>3 die Abschätzung  MitZn < 2pn  .

Beweis:  wir schließen  MitZn = 2 ni=2pi / ∏ni=2(pi-2) = (∏n-1i=2pi /(pi+1-2))2pn  und wegen pi+1 – pi ≥ 2  sind für i>3 die Faktoren pi /(pi+1-2) ≤ 1 (für i=2und i=3 haben wir pi /(pi+1-2)=1 und  für i=4 dann p4 /(p5-2)) womit wir  MitZn < 2pn  folgern.

 

Und wiederum stellen wir das bisher Ermittelte in einer Tabelle zusammen, ergänzen um die numerisch ermittelten Werte größter Lücken im Intervall [1; πn]  und stellen diese der Länge des Intervalls [pn;p2n ]  gegenüber.

 

n 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11
pn 3 5 7 11 13 17 19 23 29 31
MitZn 6 10 14 17,1 20,2 22,9 25,6 28,0 30,1 32,2
MaxZn 6 12 30 42 66 108 150 204 258 348
p2n-pn 6 20 42 110 156 272 342 506 812 930

 

Und wiederum zeigt uns die hieraus resultierende Grafik, die größten Lücken sind stets deutlich kleiner als p2n - pn . De Gestzmäßigkeit der größten Lücken wird der Schlüssel zu einer entscheidenden Aussage Teilerfremde-Zwillinge werden.

 

 max twin

 

Teilerfremd-Zwillinge unterliegen im Vergleich zu Primzahl-Zwillingen einfachen Gesetzmäßigkeiten. Es verwundert auch diesmal nicht, dass dies für die maximalen Lücken ebenfalls gilt.

 

Satz 2.4

Die maximale Länge (größte) Lücke aller Teilerfremd-Zwillingspaare zu πn in [1; πn]  beträgt  MaxZn = 6·∑[n/2]k=1pn-2k .

Beweis:   Die Tabelle liefert uns MaxZ2 = 6 = 6•p0  (wir definieren p0=1),  MaxZ3 = 12 = 6•p1,  MaxZ4 = 24 = 6•(p2+p0), …,  MaxZ11 = 348 = 6•(p9+ p7+ p5+ p3+ p1).  Zum allgemeinen Beweis betrachten wir auch diesmal die möglichen Kombinationen / Konstellationen der pi-Reihen (1≤i≤n).

 

Wir haben unser Ziel erreicht.

 

Satz 2.5

Im Intervall [pn; p2n]  gibt es mindestens einen Primzahl-Zwilling.

Beweis:   Der maximale Abstand von Teilerfremd-Zwillingspaar zu Teilerfremd-Zwillingspaar  beträgt nach Satz 2.4  MaxZn = 6·∑[n/2]k=1pn-2k .   Wegen   6·∑[n/2]k=1pn-2k = 6•(pn-2+pn-4+pn-6+ …)  <  6•[n/2]•pn-2  <  3n•(pn-1)  < pn(pn-1)  {für n≥12}  = p2n - pn   muss es zwischen pn und p2n mindestens ein Teilerfremd-Zwillingspaar geben. Nach Satz 2.2 muss dieses Teilerfremd-Zwillingspaar ein Primzahl-Zwillingspaar sein.

 

3. Zusammenfassung

 

Es ist uns klar, dass wir den Beweis zu Satz 2.4 (wie auch Satz 1.5 ) noch nicht endgültig ausgeführt haben. Kann diese Lücke allerdings geschlossen werden, so wäre damit die Primzahl-Zwillings-Vermutung vollständig bewiesen. Und wir sind zuversichtlich, da die maximalen Lücken einfachen Gesetzmäßigkeiten gehorchen, die wir niemals bei Primzahl-Zwillingen hätten vorfinden können.

 

4. Anhang

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